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Bundesregierung muss Steuertransparenz in der EU endlich zur Priorität machen

50 bis 70 Milliarden Euro – so viel Geld entgeht den Regierungen der EU-Länder einer Schätzung zufolge jedes Jahr, weil Unternehmen ihre Gewinne in Steueroasen verschieben. Gelänge es, auch nur die Hälfte davon einzutreiben, könnte man diese Milliardenbeträge dort investieren, wo sie dringend benötigt werden: in Schulen und Krankenhäusern, bei Sozialleistungen und der Energiewende.

Gerade jetzt, da das Coronavirus die öffentlichen Haushalte an ihre Grenzen bringt, sollte die stärkere Bekämpfung von Steuervermeidung eine Selbstverständlichkeit sein. Voraussetzung dafür ist jedoch Steuertransparenz, ein wesentlicher Bestandteil von Steuergerechtigkeit. Ohne genaue Angaben darüber, wo Unternehmen wie viel verdienen, können sie vom Fiskus nicht angemessen besteuert werden.

Seit vier Jahren wird in der Europäischen Union nun schon ein Vorschlag zur öffentlichen länderspezifischen Berichterstattung („public country-by-country reporting“ – pCBCR) diskutiert. Mit der Einführung von pCBCR wäre gewährleistet, dass Großunternehmen ihre Gewinne und Steuerzahlungen für alle einsehbar offenlegen müssen, damit die Regierungen tatsächlich alle fälligen Steuern eintreiben und Steuervermeidungsmanöver unterbinden können.

 

Blockade im Ministerrat

Inzwischen ist die Gesetzesinitiative jedoch völlig zum Stillstand gekommen. Eine Gruppe von Mitgliedsstaaten, die sich für eine niedrigere Körperschaftsteuer einsetzen, leistet im EU-Ministerrat Widerstand gegen pCBCR. Dabei verlangt die Öffentlichkeit nach mehr Steuertransparenz und -gerechtigkeit.

Doch nun besteht wieder etwas Hoffnung für pCBCR. Durch ein Umdenken bei der österreichischen Regierung gibt es jetzt im Rat eine knappe Mehrheit dafür, das Thema wieder auf den Tisch zu bringen und Verhandlungen mit den anderen EU-Institutionen aufzunehmen, um gemeinsam pCBCR gesetzlich zu verankern. Das ist zwar eine gute Nachricht, doch kommt es jetzt auf die Bundesregierung an, die derzeit die Ratspräsidentschaft innehat und somit entscheidet, welche Themen auf die Tagesordnung des Rates gesetzt werden.

In der Bundesregierung ist das Thema pCBCR seit Langem heiß umstritten – und bei Unternehmen, denen Steuertransparenz ein Dorn im Auge ist, Gegenstand intensiver Lobbyarbeit. Die SPD sprach sich 2017 in ihrem Programm für pCBCR aus, und der eigene Finanzminister Olaf Scholz unterstützte diese Position nach einigem Zögern. Im Gegensatz dazu hat die Union, insbesondere CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier, jegliche deutsche Unterstützung für pCBCR ausgeschlossen. Somit musste sich Deutschland bei Abstimmungen in der EU konsequent enthalten, und hat so den Vorschlag praktisch blockiert.

 

Unternehmenslobby stellt sich gegen Steuertransparenz

Eine Herzenssache war transparente Finanzberichterstattung für die Bundesregierung noch nie, und der Unternehmenslobby scheint es gelungen zu sein, eine Unterstützung der Union für pCBCR abzuwenden.

Die Stiftung Familienunternehmen, die rund 500 fast ausschließlich internationale Konzerne wie Haribo, Schwarz und Henkel vertritt, nannte den Vorschlag einen „Angriff auf die deutsche Wirtschaft“. Auch die Lobbygruppe „Die Familienunternehmer“ bezeichnete ihn als „unternehmensschädlich“ und „geradezu unsäglich“.

Diese übertriebenen Aussagen der Wirtschaft muss man im Gesamtzusammenhang betrachten: Viele deutsche Konzerne nutzen Steueroasen und andere Werkzeuge, um Gewinne zu verschieben und so ihre weltweite Steuerlast zu reduzieren. Das letzte was sie wollen, ist mehr Steuertransparenz. Schätzungen zufolge hat allein der Chemieriese BASF zwischen 2010 und 2014 durch Steuervorteile in mehreren EU-Ländern seine Steuerlast um 923 Millionen Euro drücken können. Dem Gesundheitskonzern Fresenius wird derweil vorgeworfen, seit 2010 weltweit bis zu 2,9 Milliarden Euro an Steuern vermieden zu haben. Auch dem Coronatest-Hersteller Qiagen ist es gelungen, seit 2010 die Steuerrechnung um mehrere Millionen Euro zu reduzieren.

 

Deutschland muss sich entscheiden

Der Bundesregierung bietet sich jetzt die einmalige Gelegenheit zu einer klaren Ansage an die Wirtschaft: Geheimniskrämerei bei der Steuerberichterstattung sowie Steuervermeidung werden nicht länger toleriert. Im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft kann das Thema pCBCR bei einem der drei Treffen des Rats für Wettbewerbsfähigkeit im November auf die Tagesordnung gesetzt werden. Die Bundesrepublik selbst könnte sich weiterhin der Stimme enthalten und müsste nur den zuständigen Ministerinnen und Ministern eine Abstimmung ermöglichen. Durch die gegenwärtige Mehrheit für pCBCR könnte das Dossier die nächste Hürde im Rechtsetzungsverfahren nehmen.

Ein kleiner Schritt für die Bundesregierung, aber ein großer Gewinn für die Bürgerinnen und Bürger der EU.

Olaf Scholz erklärte im September, man werde im Rahmen der Ratspräsidentschaft die Diskussion und den Entscheidungsfindungsprozess zu pCBCR unterstützen. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) hätte genau dazu Gelegenheit gehabt, wenn sie das Thema pCBCR bei einer Ratssitzung im Oktober auf den Tisch gebracht hätte. Es wäre ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer Abstimmung im November gewesen. Stattdessen wurde die Sitzung von der deutschen Ratspräsidentschaft ohne Angabe von Gründen abgesagt.

Die deutsche Ratspräsidentschaft muss nun den Aufforderungen ihrer europäischen Partner folgen und das Thema pCBCR im November zur Abstimmung bringen. Sollten die Unionsfraktion und Minister Altmaier vorhaben, den Einfluss des Ratsvorsitzes auf die Themensetzung zu missbrauchen und diese Abstimmung zu verhindern, würden sie Deutschlands Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. Sie sollten dann wenigstens mit offenen Karten spielen.

Bürgerinnen und Bürger, die ganz besonders während der Corona-Krise die öffentlichen Haushalte gestärkt sehen wollen, können jetzt steuervermeidenden Unternehmen die Stirn bieten und die Regierung dazu auffordern, das Thema pCBCR noch vor Ende des Jahres auf die Tagesordnung des Rates zu setzen.

Unterzeichnen Sie jetzt unseren Appell!

Von Vicky Cann (Corporate Europe Observatory) und Christoph Trautvetter (Netzwerk Steuergerechtigkeit)

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